Die Glücksforschung führt zu überraschenden Ergebnissen und widerlegt alte Vorurteile.
Empirische Glücksforschung ist heute ein wichtiger Teil der Ökonomie und Psychologie geworden. Glück hat allerdings mancherlei Bedeutungen und ist deshalb schwer zu messen. Häufig werden drei Arten von Glück unterschieden: der kurzfristige, rasch vergehende Affekt als das eine Extrem; am anderen Ende der Skala ein erfülltes, gutes Leben als Ganzes. Dazwischen ist die subjektive Lebenszufriedenheit angesiedelt, mit der sich die Glücksforschung vor allem beschäftigt, indem sie fragt: «Alles in allem, wie zufrieden sind Sie mit dem Leben, das Sie führen?»
Diese Frage zielt auf überlegte Antworten, welche auch etwas längerfristige Aspekte einbeziehen. Sie wurde und wird einer riesigen Zahl von Personen in Hunderten von Ländern gestellt. Mit Hilfe fortgeschrittener statistischer Methoden können die verschiedenen Einflussgrössen auf die subjektive Lebenszufriedenheit (oder kurz auf das «Glück») isoliert werden. Damit lässt sich der Einfluss einzelner Grössen untersuchen, indem die Einflüsse der vielen anderen Faktoren konstant gehalten werden.
Die Antworten auf diese Frage entsprechen gut einem landläufigen Verständnis von Glück und bestätigen übliche Auffassungen. Wer auf einer Skala zwischen 0 («völlig unzufrieden») und 10 («völlig zufrieden») einen hohen Wert angibt, lächelt zum Beispiel mehr (im Sinne des sogenannten Duchenne-Lächelns, das sich nicht vortäuschen lässt), ist optimistischer und geselliger.
Das kurze Glück ob dem Neuen
Die Glücksforschung bringt dabei einiges Überraschendes hervor. So sind die meisten Menschen der Ansicht: «Geld macht nicht glücklich.» Viele Sozialromantiker sind überzeugt, in armen Ländern lebende Menschen seien wenig Stress ausgesetzt und deshalb zufriedener. Die moderne, empirisch fundierte Glücksforschung kommt zum Ergebnis: «Geld macht glücklich.» Mit steigendem Einkommen nimmt die Lebenszufriedenheit eindeutig zu. Wer arm ist und mit Geldsorgen zu kämpfen hat, ist mit seinem Leben weniger zufrieden als gutverdienende Menschen, die sich kaum Gedanken um die Finanzierung ihrer Bedürfnisse machen müssen.
Allerdings findet die empirische Glücksforschung keine lineare Beziehung zwischen steigendem Einkommen und Glück. Zusätzliches Einkommen verschafft immer weniger zusätzliches Glück. Je mehr Geld zur Verfügung steht, desto wichtiger werden andere Faktoren, insbesondere intensive soziale Beziehungen mit Freunden, Verwandten und Kollegen.
Die Bedeutung sozialer Beziehungen wird allerdings von den meisten Menschen nicht angemessen vorausgesehen. Sie haben eine geringe Fähigkeit, die Bedingungen zukünftiger Lebenszufriedenheit richtig einzuschätzen. Das neue schicke Auto macht nur kurzfristig glücklicher. Auch das Haus im Grünen, sehnlichst erwünscht und mit langen Arbeitswegen verbunden, ist im statistischen Durchschnitt längerfristig kein Glücksbringer. Die meisten Pendler wollen es nicht wahrhaben, aber Untersuchungen zeigen, dass ihre Lebenszufriedenheit geringer ist als bei Personen, die näher bei ihrem Arbeitsort wohnen.
Es ist nicht gleichgültig, wie man sein Einkommen bezieht. Geld ohne Gegenleistung mindert zwar die täglichen Sorgen um den Lebensunterhalt, macht aber weniger glücklich als ein Einkommen, das man sich selbst verdient hat. Arbeitslose, die über längere Zeit vom Staat monetär versorgt werden, sind mit ihrem Leben weniger zufrieden (bei konstant gehaltenen anderen Faktoren, insbesondere dem Einkommen). Sie fühlen sich von der Gesellschaft ausgeschlossen, und ihr Selbstwertgefühl leidet.
Ähnliches gilt auch für Wirtschaftsflüchtlinge. Wenn ihnen der Staat einfach Geld überweist, wird ihnen damit unterstellt, keine Leistung erbringen zu können oder zu wollen. Aus diesem Grund sollte Wirtschaftsflüchtlingen möglichst rasch die Möglichkeit eröffnet werden, in unserem Arbeitsmarkt tätig zu werden und daraus ein selbst erarbeitetes Einkommen zu erzielen.
Der Staat überweist Pensionierten zwar auch regelmässig Geld, die entsprechende Leistung wurde jedoch in der Vergangenheit erbracht. In der Tat sind ältere Personen glücklicher als solche im mittleren Alter, was der landläufigen Vorstellung widerspricht.
Kleinstaaten-Glück
Die meisten Menschen glauben, Lohntransparenz stelle einen Fortschritt dar. Glücklicher werden sie damit jedoch nicht. Menschen tendieren nämlich dazu, sich mit Personen zu vergleichen, die ein höheres Einkommen haben, was sie neidisch macht. Aus dieser Sicht ist die heute häufig propagierte Offenlegung aller Bezüge in einer Firma («gläserne Lohntüte») nicht sinnvoll.
Auch hinsichtlich des Einflusses anderer Faktoren zeigen die quantitativen Untersuchungen einige unerwartete Ergebnisse. Ein schwerer Unfall, der eine grosse körperliche Beeinträchtigung verursacht, senkt zwar zuerst die Lebenszufriedenheit markant. Nach einiger Zeit steigt sie aber wieder fast auf das alte Glücksniveau. Umgekehrt sind Lottogewinner nur vorübergehend glücklicher. Als Grund gilt, dass das Glücksempfinden eine stark genetische Komponente hat.
In der heutigen, digital geprägten Welt gelten kleine Länder vielfach als überholt. Die empirischen Ergebnisse zeigen jedoch das Gegenteil. Dänemark, Finnland, Norwegen, Island und die Schweiz erweisen sich regelmässig als diejenigen Länder, in denen sich die Bevölkerung am glücklichsten fühlt. Grosse Länder wie die USA, Frankreich, Deutschland oder Italien fallen hingegen deutlich ab. Innerhalb der Schweiz ist der «Kantönligeist» ebenfalls glücksfördernd. Die Bürgerinnen und Bürger schätzen es, wenn sie über lokale politische Angelegenheiten selbst entscheiden können. Deshalb sollte sehr wohl überlegt werden, ob Zusammenschlüsse von Gemeinden und sogar Kantonen erstrebenswert sind.
Demokratie wird heute von vielen als überholte Staatsform angesehen, die für eine moderne digitale Gesellschaft nicht mehr recht tauge. Als Vorbilder werden Singapur und ähnlich autoritär gelenkte Länder (zuweilen sogar die Volksrepublik China) angesehen. Jedoch zeigt die Glücksforschung im Vergleich unterschiedlicher Länder und Regionen, dass die Bewohner umso glücklicher sind, je demokratischer die Verhältnisse sind.
Mit meinem Kollegen Alois Stutzer von der Universität Basel habe ich diesen Zusammenhang für die Schweiz untersucht. Wir haben dabei die unterschiedlichen Möglichkeiten direktdemokratischer Mitsprache zwischen den Kantonen betrachtet. Zum Beispiel können die Wahlberechtigten im Kanton Genf zu manchen Themen, insbesondere hinsichtlich budgetärer Aspekte, nicht abstimmen. Im Kanton Basel-Landschaft hingegen sind die direktdemokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten besonders ausgeprägt.
Das saudische Glücks-Ministerium
Unsere Ergebnisse zeigen, dass – unter sonst gleichen Bedingungen – die Bürgerinnen und Bürger in Kantonen mit stärker entwickelten Initiative- und Referendumsrechten mit ihrem Leben zufriedener sind. Wiederum sind Schweizer Bürger insgesamt bei gleichem Einkommen, Alter und Geschlecht zufriedener als in unserem Land lebende Ausländer. Auch dieser Unterschied unterstreicht die glücksstiftende Wirkung der Möglichkeit zur politischen Beteiligung.
Die sozialwissenschaftliche Glücksforschung liefert erhebliche neue Einsichten. Es besteht jedoch die Gefahr, dass Parteien und Politiker sie für ihre Zwecke missbrauchen. Saudiarabien hat sogar eine Ministerin für Glück eingesetzt. Es erscheint fortschrittlich und tönt gut, wenn sich eine Regierung direkt um das Glück ihrer Bevölkerung kümmert. Allerdings lässt sich das Glück nicht bürokratisch von oben herbeiführen.
Eine «Glückspolitik» ist auch deshalb verfehlt, weil Regierungen dann einen Anreiz haben, die Glücksindizes zu ihren Gunsten zu manipulieren. Dies ist einfach zu bewerkstelligen. Zum Beispiel brauchen nur die weniger Glücklichen – etwa Personen im Gefängnis – von der Zählung ausgeschlossen zu werden, wie dies in den USA der Fall ist. In einer Demokratie sollte die Politik die Wünsche der Bevölkerung ernst nehmen und ihr die Möglichkeiten eröffnen, diese so weitgehend wie möglich selber zu erfüllen. Dazu gehören vor allem Massnahmen zur Sicherung der wirtschaftlichen Prosperität und die Festigung der demokratischen Institutionen.